Archiv der Kategorie: Flucht & Migration

Hungerstreik beendet – Kommentar (aktualisiert)

vgl. http://www.b-umf.de/index.php?/bundeslaender/bayern.html
sowie die Pressemitteilung vom Bundesfachverband -UMF: http://www.b-umf.de/images/pm_bayernkaserne_2012.pdf und JOG http://bayern.jogspace.net/2012/01/17/update-hungerstreik-in-der-bayern-kaserne/.

Grundsätzlich sollte nicht vergessen werden, dass die bayerische Systematik der Lagerunterbringung so angelegt ist, dass Sie die „Bereitschaft zur Rückkehr“ fördert (vgl. Verordnung zur Durchführung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Aufnahmegesetzes §7 Abs. 5 http://by.juris.de/by/gesamt/AsylDV_BY.htm)

Hat die „Innere Mission“ die legitimen Proteste gedeckelt und eingeschränkt?

Mitglieder des Ausländerbeirats wurde der Zugang zur Bayernkaserne u.a. von der Inneren Mission verweigert vgl. auch http://africa-live.de/index.php?option=com_content&task=view&id=4391&Itemid=11 und http://www.sueddeutsche.de/J5O38f/424707/Auslaenderbeiraete-bleiben-draussen.html

Der Evangelische Presseverband publizierte: „Innere Mission: Protest ist Kontraproduktiv“: http://www.epv.de/node/9663.
Die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der unterschiedlichen Behörden beim Thema „Bayernkasernestraße“ sind komplex, allerdings können auch die Träger Sozialer Arbeit nicht aus der Verantwortung genommen werden, wie es auch der b-umf in ihrer heutigen Pressemitteilung formuliert:
„Die Leitung der Inneren Mission verheizt ihre Mitarbeiter in der aufreibenden und angespannten Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne. Unter den dort herrschenden Verhältnissen ist eine fachlich adäquate Arbeit völlig unmöglich. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Inneren Mission in der Bayernkaserne ihr Möglichstes tun, um die Jugendlichen zu unterstützen. Es ist jedoch offensichtlich, dass die gegebenen Mittel völlig unzureichend sind, um dem Betreuungsauftrag gerecht zu werden und dass die Konzeption des Betreuungsauftrags nicht funktionieren kann. Dass die Leitung der Inneren Mission sich auf dieses Konzept eingelassen hat, disqualifiziert sie als Anwalt der Jugendlichen aufzutreten. Vielmehr wird offenkundig, dass hinter der Debatte um die Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge vor allem wirtschaftliche Interessen stehen. Es ist grotesk, dass Pfr. Andreas Herden von der Inneren Mission in der SZ vom 16.1.2012 seine Loyalität zur Regierung von Oberbayern erklärt, weil die Innere Mission von der Regierung von Oberbayern finanziert wird.“ (Link siehe oben).

Ein ähnliches (beschwichtigendes und Proteste-diskreditierendes) Verhalten war auch schon von anderen Münchner Wohlfahrtsverbänden festzustellen, z.B als bestimmte Flüchtlingsunterkünfte in denen die jeweiligen Wohlfahrtverbände Beratungsstellen hatten in scharfer öffentlicher Kritik standen.

Zur Legitimität der Proteste vgl. z.b. http://www.aks-muenchen.de/?p=414

In diesem Zusammenhang ein Verweis auf ein noch heute relevantes Fachbuch: Cloward, Richard; Fox Piven, Frances: Notes toward a Radical Social Work, in: Bailey, Roy; Brake, Mike (Hrsg.): Radical Social Work, erweiterte amerikanische Ausgabe von 1976 (Erstausgabe 1975) (wohl eher als „kritische Soziale Arbeit“ zu übersetzen).
Hier wird formuliert (vgl. S.XXIIf.):

„The tenets for radical action: First we have to break with the professional doctrine that the institutions in which social workers are employed have benign motives: that the purpose of welfare agencies is to provide health care for the sick; that the purpose of welfare agencies is to provide assistance for the impoverished (…).
Once freed from a belief in the benign character of the social agencies, we can free ourselves from a second item of doctrine that follows logically enough – that what is good for the agency is good for the client, that the interests of the agency and the interests of the client are basically identical.“

Eine Tendenz die sich möglicherweise mit der „Neoliberalisierung“ der Sozialen Arbeit verstärkt hat, da Wohlfahrtverbände zunehmend gewinnorientiert handeln und z.T. Kapitalakkumulation als ihr (Haupt-)Ziel formulieren (vgl. hierzu z.B. Veröffentlichungen von Prof. Norbert Wohlfahrt). Dies bedeutet nicht, dass dies auf jeden Träger Sozialer Arbeit zutreffen muss und z.B. Leitbilder grundsätzlich keine Rolle spielen, eine Tendenz ist jedoch klar erkennbar.

Etwas weniger scharf benannt wird die Problematik auch von Lothar Böhnisch: Sie (die Wohlfahrtsverbände) stehen heute schon am Scheideweg zwischen einer sozialpolitischen Organisation, die Öffentlichkeit verlangt und soziale Konflikte aufnehmen kann und einer binnenzentrierten markt- und betriebswirtschaftlcihen Profilierung, die Öffentlichkeit und gesellschaftliche Konfliktaustragung eher ausschließt und sich im Lobbyismus erschöpft (vgl. Sozial Extra, 1/2 2012, S.47 Springer VS Verlag).

Die Situation eskaliert: 20 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Laufe des Hunger-/Durststreiks in das Krankenhaus eingeliefert

http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.protest-fluechtlinge-im-durststreik.ea1954b6-2a07-42d6-a3f7-58908256f239.html

http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/DEUTSCHLAND/20-Jugendliche-wegen-Hungerstreik-ins-Krankenhaus-eingeliefert-artikel7874543.php

Bayernkaserne: Über 60 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in München im Hungerstreik

vgl. nicht ganz aktueller Bericht: http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.bayern-kaserne-fluechtlinge-im-hungerstreik.57ad2976-46d0-418f-9768-fbbb0160773f.html

Die Forderungen der in der Zwischenzeit über 60 hungerstreikenden Jugendlichen finden sich hier: http://bayern.jogspace.net/2012/01/11/forderungen-der-jugendlichen-aus-der-bayern-kaserne/

Und eine Pressemitteilung von nun unterstützenden Organisationen hier: http://bayern.jogspace.net/files/2012/01/12-01-12_PM-HungerstreikBayernKaserne.pdf

Nachtrag 13.01.
Verschiede Tageszeitungen haben das Thema aufgegriffen, u.a. http://www.welt.de/print/welt_kompakt/vermischtes/article13810783/Schrei-nach-Aufmerksamkeit.html

Flashmob in München zu Resettlement / Hintergrundbericht zur Flüchtlingsaufnahme

Der Münchner Flüchtlingsrat berichtet auf ihrer Homepage:

„Wer am Samstagmorgen um fünf vor Zwölf am Richard Strauß Brunnen vorbei kam, war mit einer sonderbaren Szene konfrontiert: Eine Gruppe von etwa 50 Münchner Bürgern hatte sich dort versammelt, bestückt mit Rettungsringen, Schwimmflügeln, Wasserbällen, Schwimmnudeln, Holzbrettern und anderen Utensilien. Jeder von ihnen hielt ein Schild in die Höhe, auf dem save me – rette mich – stand. Spätestens, als sich fünf Personen in schwarzen T-Shirts mit dem Schriftzug Frontex von der Menge absonderten und sie mit einem rot-weiß gestreiften Absperrband einkesselte, war klar, worum es der Gruppe ging. Frontex, die europäische Grenzschutzagentur, hält Flüchtlinge an den Außengrenzen der Europäischen Union davon ab, zu uns zu kommen. Die EU schottet sich immer weiter ab. Dabei spielen sich nicht selten Dramen ab, vor allem auf dem Mittelmeer. Um auf die Notwendigkeit hinzuweisen Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen, haben sich in München und Berlin Bürger zu einem Flashmob versammelt.

Die save me Kampagne, ein Bündnis verschiedener Organisationen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen… fordert schon lange, dass Deutschland auf regelmäßiger Basis Flüchtlinge aufnimmt. Unter anderem nehmen USA, Australien, Schweden, Frankreich und Großbritannien jährlich Flüchtlingskontingente über das Resettlement-Programm der Vereinten Nationen auf. Deutschland ist bisher leider noch nicht dabei und beschränkt sich lediglich auf Ad Hoc–Aufnahmen.  (…)

Dass das Konzept aufgeht, wird am Samstagmorgen schnell deutlich. Viele Leute bleiben stehen, beobachten die Szene, fragen nach und fangen an zu diskutieren. Die 300 mitgebrachten Flyer und Infoblätter sind nach einer Viertelstunde alle weg.“

 

Zum Hintergrund (von N.G., 2010):

Die gezielte Flüchtlingsaufnahme

am Beispiel der Kindertransporte nach Großbritannien 1938/1939

und der Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland im Rahmen von „Resettlement“ im 21. Jahrhundert

Die gezielte Aufnahme von Flüchtlingen

Eine Besonderheit in der Geschichte stellen die Kindertransporte dar. Hier wurde durch aktive Fluchthilfe jüdischen Kindern die Flucht aus dem Deutschen Reich nach Großbritannien ermöglicht.

Auch heute existieren international organisierte Schutzprogramme im Rahmen des Resettlements, allerdings mit dem Unterschied, dass nur Personen die Weiterwanderung ermöglicht wird, die bereits Flüchtlinge sind und in einem Drittstaat leben.

 

Die Kindertransporte 

1938/1939 wurde etwa 10.000 jüdischen Kindern und Jugendlichen die Flucht aus Deutschland ohne ihre Eltern nach Großbritannien ermöglicht. Von diesen Kindern haben nur wenige Ihre Eltern wieder sehen können. Das englische Kabinett beschloss im November 1939 die Aufnahme einer unspezifischen Zahl von jüdischen Kindern. Als einzige Bedingung für ein Visum mussten pro Kind 50 Pfund aufgebracht werden. Bei der damals noch existierenden Reichsvertretung der Juden konnten Eltern ihre Kinder für die Ausreise registrieren lassen. Prioritär sollten Kinder in Sicherheit gebracht werden, deren Eltern bereits von Nazis verhaftet worden sind.

Nach dem 2. Weltkrieg, als sich abzeichnete, dass die meisten Kinder ihre Eltern verloren hatten, schuf das britische Innenministerium die Möglichkeit in einem vereinfachten Verfahren die britische Staatsangehörigkeit anzunehmen.[1]

Zunächst wurden die ankommenden Kinder in einem leer stehenden Ferienlager aufgenommen. Durch die Presse hatten sich rasch Familien bereit erklärt Kinder aufzunehmen. Die anderen Kinder wurden auf unterschiedliche Heime verteilt. Unterschiedliche Organisationen beschäftigten sich mit den Themengebieten „Gesundheit“, „Ausbildung“, „Religion“ etc.  Es wird berichtet (vgl. z.B. Göpfert 1998)[2], dass viele Kinder darunter litten in einem fremden Land mit einer Ihnen zunächst fremden Kultur aufzuwachsen. Für manche wäre es schwierig gewesen sich nicht über ihre Lage beklagen zu dürfen, da sie ins sichere England haben fliehen dürfen. Die Pflegeeltern wären oft überfordert gewesen.

 

Resettlement – weltweit

Die Aufnahme der Kinderflüchtlinge durch Großbritannien, können  als Vorläufer der heutigen „Resettlement-Programme“ (Weiterwanderungsprogramme) des UNHCR gesehen werden.

Mehrere Länder (u.a. Australien, Burkina Faso, USA, Niederlande, Schweden, Dänemark, Norwegen) haben sich bereit erklärt, jährlich ein bestimmtes Kontingent von besonders schutzbedürftigen  Flüchtlingsgruppen aus Krisenregionen aufzunehmen. Prioritär wird als dauerhafte Lösung für Flüchtlinge die freiwillige Rückkehr in ihr Heimatland oder die Integration im Fluchtland ermöglicht. Dies ist jedoch nicht in allen Fällen realisierbar.  Resettlement ist die sogenannte „Dritte Lösung“ die vom UNHCR als Zeichen der internationalen Solidarität sowie als Instrument der Lastenverteilung gesehen wird.

Zur Erinnerung: Die meisten Flüchtlinge halten sich in der Nähe ihrer Herkunftsländer aus, die umliegenden Regionen sind oftmals mit der Flüchtlingssituation überfordert  (Bsp. Kenia (2010) mit ca. 300.000 somalischen Flüchtlingen, Guinea/Conakry (2003) mit ca. 700.000 Flüchtlingen bei einer Einwohnerzahl von 7 Millionen, Syrien (2008) mit ca. 2 Mio. Flüchtlingen aus dem Irak etc.).

Resettlement wird insbesondere für besonders schutzbedürftige, vulnerable und/oder akut gefährdete Flüchtlinge realisiert. Typische Personengruppen sind z.B. Opfer von Folter, Kinder und Jugendliche, Personen die medizinische Probleme haben, die im Asylland nicht behandelt werden können, alleinstehende Frauen mit Kinder, Personen die im Asylland verfolgt werden etc.

 

Resettlement in Deutschland

2006 nahm Deutschland 14 usbekische Flüchtlinge auf, die nach den Massakern in Andijan (Usbekistan) nach Kirgistan fliehen mussten. Entgegen dem „non-refoulement“-Gebot, welches die Abweisung und Rückschiebung von Genfer-Konventionsflüchtlingen verbietet, hatte Kirgistan Flüchtlinge an der Grenze abgewiesen und eine Rückschiebung geplant. Darüber hinaus verfolgten usbekische Behörden die Zivilisten über die Grenzen hinaus, so dass der UNHCR für knapp 450 Personen als einzige Lösung die Weiterwanderung sah. [3]

Deutschland hat sich 2009 erstmals seit dem an einem groß angelegten Resettlementprogramm beteiligt. Es wurden einmalig 2500 irakische Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen.

2010 gibt es eine Debatte bezüglich der Aufnahme einer zweistelligen Zahl verfolgter iranischer Staatsbürger.

Als Kontingentflüchtlinge wurden vor dem Jahre 2000 sog. „boat-people“ (zumeist vietnamesischer Herkunft) sowie Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Bundesrepublik aufgenommen.

Nach Einschätzung des Autors wird das „Instrument“ des Resettlements in den nächsten Jahren in Europa wie in Deutschland an Bedeutung gewinnen.

2009 ermöglichte UNHCR weltweit die Weiterwanderung von 66.000 Flüchtlingen.

N. G.

(Der Autor war in Guinea/Conakry und Senegal bei der Umsetzung von Resettlement beteiligt)

 

Weiterführende Literatur

  • Göpfert, Rebecca : Kindertransporte,  in: Woge e.V. (1999): „Handbuch der Sozialen Arbeit mit Kinderflüchtlingen“. Votum Verlag GmbH: München.
  • Salewsky, Anda: Der olle Hitler soll sterben (2001), Claassen Verlag.

 

Internet:

www.kindertransporte.de

http://www.ajr.org.uk/kindertransport

http://www.kindertransport.org/

http://www.save-me-muenchen.de/kampagne.html

 

http://www.unhcr.org/4ac0873d6.html

 

 

 


[2] Göpfert, S. 217 ff.

[3] UNHCR (2006): Réfugiés. Numéro 143. L`après Andijan, S.14 ff.