München: Kein Recht zu betteln?

In regelmäßigen Abständen findet in der Lokalpresse München eine wenig fundierte Hetze gegen bettelnde Personen (die angeblichen „Bettlerbanden“ angehören) statt.
Bei der Berichterstattung werden oft viele Fakten nicht berücksichtigt. Beispielsweise, dass Betteln in München natürlich organisiert sein muss, da bei einer Kontrolle durch die Polizei das Geld als Sicherheitsleistung beschlagnahmt wird. Dies ist aber nicht zwangsläufig ein Zeichen für „Banden“ sondern ist logischerweise die einzig sinnvolle Form in München betteln zu gehen. Wenn das Geld nicht eingesammelt wird, wäre die ganze Arbeit bei einer Kontrolle möglicherweise umsonst.
Mehrheitlich handelt es sich – meiner persönlichen Einschätzung nach – gerne lasse ich mich korrigierem – bei in München „bettelnden“ Menschen um Personen, die kein Zugang zu Sozialleistungen haben, sich aber legal in Deutschland aufhalten.

Zwei gute Berichte sind in den letzten Tagen in der Sueddeutschen Zeitung erschienen. Sie stechen aus der üblichen Berichterstattung heraus:

http://www.sueddeutsche.de/muenchen/armut-in-muenchen-trotz-euro-rente-ist-betteln-verboten-1.1189948

http://www.sueddeutsche.de/bayern/bettler-in-bayerns-staedten-bitte-seien-sie-kaltherzig-1.1183064

Drei weitere interessante Links zum Thema „Betteln“ z.T. auch mit expliziten Bezug auf München:
http://www.linksnet.de/de/artikel/20688
http://pixeloekonom.com/2010/06/23/beruf-bettler-die-okonomie-einer-gar-nicht-so-einfachen-tatigkeit/
http://www.jurawelt.com/aufsaetze/strafr/3554

182 Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt seit 1990

vgl. http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/chronik-der-gewalt/todesopfer-rechtsextremer-und-rassistischer-gewalt-seit-1990

Informationen zum Thema Rechtsextremismus in Bayern/München sowie eine Chronologie rechter Aktivitäten in der Region bietet das Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivzentrum München (a.i.d.a.) vgl. http://www.aida-archiv.de/

Zum Thema Soziale Arbeit & Rechtsextremismus ist die Broschüre „Rosen auf den Weg gestreut…, Kritik an der akzeptierenden Jugendarbeit mit rechten Jugendcliquen“ auch heute noch aktuell und lesenswert, aber wohl (nach kurzer Internetrecherche) nicht mehr bestellbar.

Die Unruhen in den britischen Städten gingen von „antisozialen“ Menschen aus?

Ein typisches Beispiel von der Individualisierung/Psychologisierung Sozialer Probleme… das neoliberale Weltbild läßt grüßen:
Vgl. Telepolis: http://www.heise.de/tp/artikel/35/35881/1.html

vgl. zu den Unruhen auch einen Blog-Beitrag von Prof Mechthild Seithe: http://zukunftswerkstatt-soziale-arbeit.de/2011/08/10/krawalle-der-ausgegrenzten/

Das Individuum im neoliberalen Weltbild

Es sei betont, dass es nicht den einen
„Neoliberalismus“ gibt. Insofern ist auch folgende Skizzierung der „typischen“
Rolle des Individuums im neoliberalen Weltbild schematisierend.
Das neoliberale Menschenbild ist dem Individualismus verpflichtet, bei dem „weder
der Staat noch die Gesellschaft eine höhere eigenständige Funktion hat“ (vgl.
Willke, 2003, S.91). Der einzelne Mensch wird als für sich und seine Situation als
voll verantwortlich – als Leistungsträger – gesehen, ganz nach dem Motto: „Jeder
ist seines Glückes Schmied“. Eine besondere Gewichtung liegt auf den Eigentums-
und Freiheitsrechten (Staub-Bernasconi 2007, S.30). Menschen werden
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vorrangig am „Tauschwert“ auf dem Arbeitsmarkt beurteilt (Butterwegge 2008,
S.167), als „Sozialkapital“ gesehen (Staub-Bernasconi 2007, S.28) und letztlich
werden alle privaten zwischenmenschlichen Beziehungen als Tauschverhältnisse
gesehen (vgl. z.B. Ptak 2008, S.30).
Nach dem neoliberalen Bild wird dem Individuum zugestanden, nicht ohne
Gesellschaft lebensfähig zu sein, dennoch hat die Gesellschaft keinen Eigenwert
(Willke 2003, S.94). Darum kann das „neoliberale Paradigma“ als ein
atomistisches Paradigma (nach Staub-Bernasconi 2002, S.246ff) gesehen
werden. Soziale Probleme sind hier überwiegend als Selbstverwirklichungs-,
Selbstvermarktungs- oder Motivationsprobleme zu sehen (vgl. Staub-Bernasconi
2007, S.182). Entsprechend sind zum Abbau bzw. zur Verhinderung sozialer
Probleme nicht strukturbezogene Interventionen eine Lösung oder ein Teil der
Lösung, sondern auf das Individuum fokussierte Methoden (vgl. Staub-Bernasconi
2007, S.34). (Auszug: Der disziplinierende Staat.
Eine kritische Auseinandersetzung mit 100%-Sanktionen bei
Arbeitslosengeld II-Empfängern aus der Sicht der Sozialen Arbeit
und der Menschenrechte).

N.G.

Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit – München